2012/08/27

Großmutter vor Gericht: Unterwerfung oder Strafe !

Gießen | Am 22. August 2012 verurteilte das Strafgericht Gießen unter Leitung von Richter am Amtsgericht Michael Wendel auf Antrag des Staatsanwalts (StA) Dr. Philipp Stein die Großmutter von 7 Enkeln wegen „psychischer Beihilfe“ zur Kindesentziehung zu 20 Tagessätzen à 15 Euro. Eine alltägliche Story?

Was den Fall zunächst interessant macht, ist, daß es bis zuletzt strittig war, ob es jemals eine Kindesentziehung gegeben hat; sicher war nur, daß eine solche unter keinen Umständen gemäß den Vorstellungen der Anklage stattgefunden haben konnte. Deshalb war schon fünf Wochen zuvor das Verfahren gegen den Hauptangeklagten und Vater der Kinder eingestellt worden. Die Gießener Allgemeine hatte hierüber am 19.07.2012 berichtet [1].

Nun sah es aber das Gericht als „erwiesen“ an, daß (Entziehung hin oder her) die Großmutter auf alle Fälle „Beihilfe geleistet“ hatte – wohlgemerkt: zu einer Tat, an deren Ahndung die Öffentliche Anklage kein Interesse mehr hatte.
War es die „Tat“, oder die Personen, die zu solch kuriosen juristischen Konstruktionen führten?

Der Hauptangeklagte M., ein recht unauffälliger, junger Techniker, 
 
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z.Z. arbeitslos, war im Sommer 2010 mit seinen beiden Kindern (damals 3 und 4 Jahre) in den Urlaub gefahren und hatte dazu von seiner Mutter und Großmutter der Kleinen, Frau J., 300 Euro zugesteckt bekommen. Die Kindesmutter sah darin eine Entführung, zumal die Ehe in einer Krise steckte; sie zeigte den Kindesvater wegen Kindesentziehung und die Schwiegermutter wegen Beihilfe dazu an.
Um die Geschichte bis hierhin zu verstehen, braucht man nicht zu wissen, daß Frau J., die Großmutter, eine ereignisreiche Vergangenheit hat, in der sie, mal als Bildungsträgerin, mal als parteilose Kreistagsabgeordnete, sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen eingesetzt und dabei Desinteresse amtlicherseits scharf kritisiert hatte. Auf eine ihrer Enthüllungen über Mißstände im Jugendstrafvollzug wird auch der Rücktritt des früheren hessischen Justizministers Christean Wagner, des obersten Chefs aller hessischen Staatsanwälte, zurückgeführt.

Nun gab es aber (immer noch im Sommer 2010), Vorgänge, die man im heutigen Deutschland nicht unbedingt so erwartet:


Aufgrund der Anzeige wurde ein Gießener Pkw zur Fahndung ausgeschrieben. Daß es sich dabei nicht um das Auto des vermißten Vaters handelte, lag daran, daß er mit einem geliehenen Fahrzeug unterwegs war. Merkwürdig ist aber, daß die Polizei bundesweit nach einem Gießener Kennzeichen suchte, das es überhaupt nicht gab. Dem Autor liegen amtliche Dokumente vor, daß weder kundige Personen noch zuständige Behörden jemals nach dem gesuchten Autokennzeichen gefragt wurden. Umgekehrt gibt es die schriftliche Mitteilung des Hessischen Datenschutzbeauftragten, daß 3 (in Worten: drei) Gießener Richterinnen und Richter, darunter Richter Wendel, sich gegenseitig ein nichtexistentes Autokennzeichen zuschoben.


Wegen des (Zitat aus den Akten) „verschwundenen“ Autos wurde zum 1. Juli 2010 die Durchsuchung der Wohnung der verdächtigten Großmutter befohlen; und weil sie nicht dort angetroffen wurde, erweiterte der damals zuständige Staatsanwalt, Alexander Maruhn, die Suche nach den Kleinkindern und ihren Spuren auf die Wohnung ihres Lebensgefährten – ohne Durchsuchungsbefehl. Möglicherweise hat dabei keine Rolle gespielt, daß dieser zuvor herbe Kritik an dem seiner Meinung nach herrschenden Desinteresse der Gießener Ämter an Fällen sexuellen Kindesmißbrauchs geübt hatte. Dem Vernehmen nach hat sich danach die Karriere des innovativ (d.h.: ohne richterlichen Befehl) handelnden Staatsanwalts sehr vorteilhaft entwickelt. Weitere Durchsuchungen und unerwartete Verdächtigungen im Umfeld aller Vorerwähnten gab es auch nach der Rückkehr des Vaters und der Kinder just an jenem 1. Juli 2010.


Am ersten Verhandlungstag, am 18.07.2012, wurde das Verfahren gegen den Vater M. abgetrennt und eingestellt, weil dieser Reue zeigte: Er hätte erkennen sollen, daß eine Mutter wissen will, wo ihre Kinder sind – auch, wenn sie sich weigert, Anrufe ihres zerstrittenen Mannes und ihrer Schwiegermutter entgegenzunehmen. Die (gem. Gießener Anzeiger) „streitfreudige“ Großmutter hatte dagegen keinen Grund gesehen, sich für eine Kindesentziehung zu entschuldigen, die nicht stattgefunden hatte, die sie aber mit 300 Euro unterstützt haben soll.


In einem Punkt lenkte Oma J. vor ihrer Verurteilung dennoch ein:

Da StA Stein auf dem Tatbestand der Kindesentziehung beharrte (deren „Haupttäter“ er gerade hatte frei laufen lassen), ging sie auf seine Argumentation ein: Sie führte rechtfertigenden Notstand wegen erheblicher Verwahrlosung, Vernachlässigung und Mißhandlung ihrer Enkel durch deren Mutter, Frau Sus. M. in Grünberg an und stellte 10 Beweisanträge, die sie dem Gericht vortrug. Hierzu gab sie nähere Erläuterungen zu Protokoll [2].

StA Stein beantragte [3], die Beweisanträge abzuweisen und Frau J. zu verurteilen, weil sie nicht bereit sei, sich (Zitate) zu „fügen“ und zu „unterwerfen“. Dem war erneut durch die Beklagte entgegenzutreten (lesen SIe selbst [4]). Deshalb, so StA Stein weiter, müsse ihre Tat (300 Euro, s.o.) als Selbstjustiz angesehen werden. Indem sie nicht preisgegeben habe, wo sich ihr Sohn, Herr M., während seiner Abwesenheit befunden habe, habe sie sich strafbar gemacht. Dem Argument schloß sich Wendel an.


Hämisch grinsend wies Richter Wendel Frau J. darauf hin, daß eine Berufung oder Revision innerhalb einer Woche erfolgen müsse. Je nach Sichtweise des Oberlandesgerichts Frankfurt / Main könnte sich somit die Sache bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hinziehen.


Solche Vorgänge machen Gießen und Hessen weltberühmt.



Nachtrag:

Aus diesem Verfahren und aus der Geschichte der Akteure auch den Eindruck der Sippenhaft zu stützen, wäre sicherlich etwas übereilt – zumal nach der Einstellung des abgetrennten Verfahrens. Zudem stützte sich die Verurteilung maßgeblich auf die wahrheitsgemäße Aussage der Tochter der Angeklagten, die aus dem niedersächsischen „Ausland“ herbeigeholt worden war: Die Angaben der jungen Frau wurden als Indiz dafür angesehen, daß die Großmutter gewußt haben dürfte, wo sich Sohn und Enkel aufhielten und dies den Ermittlern nicht verriet, ohne sich expressis verbis auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen.

Nun wollte es aber der Zufall, daß ein weiteres Detail bekannt wurde: Noch vor der Ladung hatte sich StA Dr. Stein, entgegen allen Gepflogenheiten, im Nachbarland nach dem (leeren) Strafregister der anzuhörenden Zeugin erkundigt [5] – woraus wir lernen: Staatsanwälte wollen genau wissen, wen sie gerade vernehmen; je schwerer das Verbrechen, umso höher der Anspruch an den Leumund der Zeugen. Könnte logisch klingen – oder auch nicht.



[1]
http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Stadt/Uebersicht/Artikel,-War-Kindesentziehung-nur-Erholungsurlaub-_arid,355515_regid,1_puid,1_pageid,113.html

[2]
http://kindesraub.de/cms/index.php/news/amtsgericht-giessen-verhandelt-beihilfe-zur-kindesentziehung

[3]
http://www.kindesraub.de/cms/images/pdf/AJ_StA_Giessen_Dr_Stein_zu_Beweisantraegen.pdf

[4]
http://www.kindesraub.de/cms/images/pdf/AJ_Wendel_Stellungnahme_Stein.pdf

[5]
http://www.uploadarea.de/files/hahmitjxzfetrgyaxqcvahoit.pdf

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