2013/04/04

OGH: Zur Frage, ob die Vereitelung eines Besuchsrechts Schadenersatzansprüche begründet



Die sich aus dem Schutz des Eltern-Kind-Verhältnisses ergebende und in § 145b ABGB konkretisierte Verpflichtung, alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt, schützt auch das Interesse des anderen Elternteils am Aufrechtbleiben der Eltern-Kind-Beziehung; eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann zu Schadenersatzansprüchen führen; der Rechtswidrigkeitszusammenhang ist auch bei einer dadurch verursachten psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert zu bejahen

Schlagworte: Familienrecht, Schadenersatzrecht, Vereitelung des Besuchsrechts, Verfahrenskosten, psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert
Gesetze:
§ 148 ABGB, § 145b ABGB, §§ 1295 ff ABGB
GZ 4 Ob 8/11x, 12.04.2011

OGH: Der Kläger behauptet, die Beklagte habe gravierend gegen ihre Pflichten aus § 145b ABGB verstoßen. Trifft das zu, sind Schadenersatzansprüche des Klägers nicht von vornherein ausgeschlossen.

Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist ein von der Rechtsordnung anerkanntes, grundrechtlich abgesichertes Rechtsverhältnis, das auch das Streben nach persönlichem Kontakt erfasst; es ist auch von Dritten zu respektieren. Umso mehr trifft diese Pflicht den obsorgeberechtigten Elternteil, der aufgrund seiner faktischen Position in besonderer Weise die Möglichkeit hat, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu fördern oder zu stören. Lässt er sich dabei nicht vom Kindeswohl leiten, das regelmäßig für einen weiteren Kontakt des Kindes zu beiden Eltern sprechen wird, so greift er in eine grundrechtlich verbürgte Rechtsposition des anderen Elternteils ein und handelt damit nicht nur gegenüber dem Kind, sondern auch gegenüber dem anderen Elternteil rechtswidrig. Das ist in der Rsp ua dadurch anerkannt, dass die beharrliche grundlose Verhinderung des Besuchsrechts nach § 74 EheG zur Verwirkung nachehelichen Unterhalts führt.

§ 145b ABGB ist eine konkrete Ausprägung dieses Grundsatzes. Diese Bestimmung dient zwar in erster Linie dem Schutz des Kindeswohls, was sich schon aus ihrem Wortlaut ergibt („zur Wahrung des Kindeswohls“) und ist auch in der Literatur unbestritten. Dieser primäre Regelungszweck schließt es aber nicht aus, dass sich der Schutz auch auf jene Personen erstreckt, deren im Familienrecht begründete, auch absolut geschützte Rechtsstellung durch ein in § 145b ABGB missbilligtes Verhalten beeinträchtigt wird. Folgerichtig wird in der Literatur mehrfach ausgeführt, § 145b ABGB „schütze“ das Verhältnis der darin genannten Personen zum Kind.

Richtig ist, dass das Gesetz besondere Sanktionen für die Verletzung der nach § 145b ABGB bestehenden Verpflichtungen vorsieht. Diese Regelungen sind aber nicht abschließend.

Nach § 148 Abs 2 ABGB kann die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr eingeschränkt oder untersagt werden, wenn der berechtigte Elternteil seine Pflichten aus § 145b ABGB verletzt. Sind mit der Obsorge dritte Personen betraut, so ist die Verletzung dieser Pflichten nach Maßgabe des Kindeswohls ein Grund für die Übertragung der Obsorge an eine andere Person (§ 253 ABGB). Verstoßen obsorgeberechtigte Eltern, Großeltern oder Pflegeeltern gegen § 145b ABGB, so hat das Gericht nach § 176 Abs 1 ABGB bei Gefährdung des Kindeswohls die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Das kann im äußersten Fall zum Entzug der Obsorge führen.

Ziel dieser Maßnahmen ist immer die bestmögliche Wahrung des Kindeswohls. Daher ist damit - auch was die zwangsweise Durchsetzung betrifft - ausschließlich das Pflegschaftsgericht befasst; im streitigen Verfahren können Unterlassungspflichten nicht durchgesetzt werden. Der Grund dafür liegt nicht nur in der Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen im außerstreitigen und im streitigen Verfahren. Schwerer wiegt der Umstand, dass ein Zivilprozess, der auf die Entscheidung eines Streits zwischen zwei Parteien abzielt, nicht geeignet ist, den primären Regelungszweck des § 145b ABGB - nämlich den Schutz des Kindeswohls - zu gewährleisten.

Für Schadenersatzansprüche gelten diese Erwägungen nicht im gleichen Maß. Gerade weil das Außerstreitverfahren ausschließlich dem (konkreten) Wohl des Kindes zu dienen hat, kann es dazu führen, dass auch gravierende Verletzungen der nach § 145b ABGB bestehenden Wohlverhaltenspflicht praktisch sanktionslos bleiben. Denn uU kann die mit einem schwerwiegenden Loyalitätskonflikt des Kindes begründete Aussetzung des Besuchsrechts das geringere Übel sein als die Übertragung der Obsorge an den anderen Elternteil.

In einem solchen Fall gibt es keinen ausreichenden Grund, Schadenersatzansprüche von vornherein auszuschließen. Vielmehr sind sie eine im Verhältnis zwischen den Eltern schon aus Gerechtigkeitsgründen gebotene Ergänzung der ausschließlich das Kindeswohl berücksichtigenden Entscheidung im Pflegschaftsverfahren. Zwar können auch sie verhaltenssteuernd wirken (Präventivfunkion des Schadenersatzrechts), im Vordergrund steht beim Schadenersatzrecht aber der Ausgleich bereits eingetretener Schäden. Diese Schäden sind nicht Gegenstand, sondern allenfalls (mittelbare) Folge des Pflegschaftsverfahrens; einander widersprechende Entscheidungen sind daher nicht zu befürchten. Auch das Kindeswohl ist nicht unmittelbar bedroht, da dem Beklagten keine Handlungspflichten auferlegt werden. Soweit Schadenersatzansprüche ihn - und damit das Kind - übermäßig belasten, greift zumindest teilweise der auch von der Anzahl von Unterhaltspflichten abhängige Pfändungsschutz des Exekutionsrechts.

Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass Verhaltenspflichten, die sich aus dem von der Rechtsordnung gewährten Schutz des Eltern-Kind-Verhältnisses ergeben und in § 145b ABGB konkretisiert sind, nicht nur das Kind, sondern auch den anderen Elternteil schützen. Eine schuldhafte Verletzung kann daher zu Schadenersatzansprüchen führen.

Das Bestehen einer solchen Ersatzpflicht ist bei Vermögensschäden - soweit das Problem erörtert wird - unbestritten. Damit kann im vorliegenden Fall jedenfalls der Anspruch des Klägers auf Ersatz der Verfahrenskosten begründet sein. Er ist im Besuchsrechtsverfahren unterlegen, weil das Kindeswohl wegen der strikten Ablehnung eines Zusammentreffens durch den Sohn bei einer zwangsweisen Durchsetzung gefährdet gewesen wäre. Sollte diese Ablehnung tatsächlich auf eine schuldhafte Beeinflussung durch die Mutter zurückzuführen sein, hätte sie die vom Vater aufgewendeten Kosten des Besuchsrechtsverfahrens rechtswidrig und schuldhaft verursacht. Haftungsgrundlage wäre daher nicht eine rechtswidrige Verfahrenshandlung (§ 1295 Abs 2 ABGB), die trotz § 107 Abs 3 AußStrG grundsätzlich auch dann zu Schadenersatzansprüchen führen könnte, wenn sie im Rahmen eines Obsorge- oder Besuchsrechtsverfahrens gesetzt wurde. Insofern zeigt das Berufungsgericht zutreffend auf, dass sich der Standpunkt der Mutter im Pflegschaftsverfahren ohnehin durchgesetzt hat; ihre Verfahrenshandlungen lagen daher als solche im Interesse des Kindes. Maßgebend für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ist aber ihr vor diesem Verfahren liegendes Verhalten: hat sie es durch eine rechtswidrige und schuldhafte Beeinflussung des Kindes verursacht, so hat sie unabhängig vom Ausgang für dessen Kosten einzustehen.

Auch Ansprüche wegen einer durch ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten verursachten Gesundheitsbeeinträchtigung sind nicht ausgeschlossen.

Der Kläger behauptet, wegen des von der Beklagten verschuldeten Abbruchs des Kontakts mit seinem Sohn psychische Schäden erlitten zu haben, die Krankheitswert erreichen. Er begehrt daher nicht ein (bloßes) „Trauerschmerzengeld“, das nahen Angehörigen eines Getöteten bei Vorliegen groben Verschuldens gebührt. Vielmehr macht er eine eigene Gesundheitsbeeinträchtigung iSv § 1325 ABGB geltend. Darunter fallen auch psychische Erkrankungen, die einer Behandlung bedürfen und über bloße Unlustgefühle - Trauer oder Zorn - hinausgehen. Auch solche Erkrankungen können einen Schmerzengeldanspruch begründen. Zu prüfen ist allerdings, ob sie im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der (behaupteten) Pflichtverletzung stehen.

Wie die Revision zutreffend aufzeigt, besteht eine gewisse Ähnlichkeit des vorliegenden Falls mit Schockschäden wegen des Verlusts oder der schweren Verletzung naher Angehöriger.

Die einen Schockschaden erleidende Person wird als unmittelbar geschädigt angesehen. Die Ersatzpflicht setzt voraus, dass die Zufügung des Erstschadens bei typisierender Betrachtung in hohem Maß geeignet ist, auch bei bestimmten Dritten einen Gesundheitsschaden herbeizuführen; der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Die (rechtsgutbezogene) Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht aus der Verletzung der gegenüber dem „Erstgeschädigten“ bestehenden Verhaltenspflichten (etwa aufgrund eines Schutzgesetzes), sondern aus der bei der Verletzung absolut geschützter Rechte oder Rechtsgüter (hier der Gesundheit des Dritten) gebotenen Interessenabwägung. Ein wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die typische Gefährlichkeit des Verhaltens für die psychische Gesundheit von Dritten, die insbesondere bei Bestehen einer familiären Nahebeziehung anzunehmen ist.

Im vorliegenden Fall schützt demgegenüber schon die von der Beklagten (angeblich) übertretene Verhaltenspflicht, die sich aus der (auch) vom anderen Elternteil zu respektierenden Eltern-Kind-Beziehung ergibt, auch den Kläger. Ein Anknüpfen (allein) an seiner Rechtsgutbeeinträchtigung ist daher nicht erforderlich. Es liegt auch kein Problem eines „Erstschadens“ vor, der zu einer weiteren Beeinträchtigung bei einem Dritten führt. Die der Rsp zu Schockschäden zugrundeliegenden Wertungen können aber dennoch bei der Beantwortung der Frage herangezogen werden, wie weit der sachliche Schutzbereich dieser Verhaltenspflicht (dh im Fall einer Pflichtverletzung der Rechtswidrigkeitszusammenhang) reicht. Denn ein durch beharrliche Beeinflussung herbeigeführter Abbruch jeglicher Beziehungen mit einem - dadurch ebenfalls geschädigten - Kind ist ebenso wie dessen Tod oder schwere Verletzung typischerweise geeignet, beim betroffenen Elternteil zu psychischen Problemen zu führen, die uU Krankheitswert erreichen können. Diese Schadensgeneigtheit des Verhaltens spricht für die Haftung.

Das unterscheidet den vorliegenden Fall von Situationen, in denen eine Sachbeschädigung - etwa an einem Automobil - zu Depressionen führt. Dort muss eine Interessenabwägung schon deswegen gegen eine Haftung ausschlagen, weil eine innige Beziehung zwischen Mensch und Sache, deren Störung zu krankheitswerten Beeinträchtigungen führt, weder typisch noch von der Rechtsordnung geschützt ist. Hingegen dienen die aus dem Eltern-Kind-Verhältnis abzuleitenden Verhaltenspflichten gerade dem Schutz immaterieller Werte, sodass eine Ausdehnung des Schutzbereichs auf schwere psychische Beeinträchtigungen nahe liegt. Zudem muss das Rechtsgut Gesundheit bei wertender Betrachtung jedenfalls höheren Schutz genießen als das bloße Vermögen. Bei einer Gesamtbetrachtung ist daher der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen.

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