2013/07/16

Mutter erhebt schwere Vorwürfe gegen Haasenburg

16.07.13, 12:05

Erziehungsheim


Ihr 15 Jahre alter Sohn sei von Haasenburg-Betreuern in einem Brandenburger Heim gedemütigt und isoliert worden, sagt die Frau. Ein Sprecher der Einrichtung weist die Anschuldigungen zurück.


 Abgeschieden: In diesem Haus des Haasenburg-Heims in Neuendorf am See wurde der Jugendliche untergebracht
Abgeschieden: In diesem Haus des Haasenburg-Heims in Neuendorf am See wurde der Jugendliche untergebracht
Die Mutter des aus der Haasenburg weggelaufenen 15-Jährigen erhebt schwere Vorwürfe gegen das Kinder- und Jugendheim in Brandenburg. "Mein Sohn war die meiste Zeit alleine in seinem Zimmer eingesperrt", sagte sie der Berliner Morgenpost. "Er hat bis zuletzt schlimm gelitten." Nicht einmal aus dem Fenster habe er gucken dürfen. Er hätte sonst Kontakt mit anderen Jugendlichen aufnehmen können.
"Mein Sohn war zwar in einer Wohngruppe untergebracht, doch bis auf ein paar Mal durfte er nicht mit den anderen zusammen essen", sagt die Frau, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will. Auch sei er nur selten an die frische Luft gekommen. "Sein Gesicht ist grau, ganz fahl", erzählt die Mutter. Fast ein Jahr war der 15-Jährige in der Haasenburg in Neuendorf am See im Kreis Dahme-Spreewald untergebracht. "Es war das absolute Grauen", sagt die Frau.

Der alleinerziehenden Mutter war im Jahr 2009 das Sorgerecht entzogen worden, der Junge erhielt einen Vormund. Die 43-Jährige kämpft darum, das Sorgerecht zurückzuerhalten – und mittlerweile auch darum, dass ihr Sohn nicht mehr in die Haasenburg zurück muss. "Dass er in keine geschlossene Einrichtung mehr muss", wie sie sagt. Denn er sei nicht durch Straftaten aufgefallen. Auch nicht, indem er sich oder andere gefährdet. Allerdings, so räumt sie ein, habe er "schon viel Mist gebaut". Was genau er getan hat, sagt sie nicht.
Die Mutter beklagt, dass der Junge in der Einrichtung nicht gefördert worden sei. Er habe einen sehr hohen Intelligenzquotienten, leide aber unter einer Lese-Rechtschreibschwäche. "Für seine Entwicklung war die Haasenburg alles andere als gut", sagt die Mutter.
Sie kündigte an, dass der Hamburger Anwalt Rudolf von Bracken, der die drei weggelaufenen Jugendlichen vertritt, Anzeige erstatten werde. "Mein Sohn selbst will bei der Polizei nicht aussagen", sagt sie. "Denn dann würde die ihn ja wieder in so eine Einrichtung bringen." Inzwischen soll das Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf einen Platz in einer geschlossenen Einrichtung in Thüringen für den 15-Jährigen gefunden haben.

Aussage gegen Aussage

Von den drei aus der Haasenburg ausgerissenen Jungen ist nur noch er "auf der Flucht". Zusammen mit zwei 16-Jährigen war der 15-Jährige vor etwa zwei Wochen nachts aus dem Toilettenfenster des Kinder- und Jugendheims geklettert. Die anderen beiden sind inzwischen in die geschlossene Einrichtung zurückgebracht worden. Nach Aussage der Hamburger Sozialbehörde hat der Hamburger Jugendliche seine Vorwürfe inzwischen zurückgezogen.
Der dritte Junge aus dem Saarland belastete in einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Landesjugendamtes Beschäftigte der Haasenburg dagegen schwer. Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) suspendierte daraufhin drei Mitarbeiter und verhängte für alle drei Haasenburg-Einrichtungen einen vorläufigen Belegungsstopp.

Der private Betreiber weist seit Wochen die Vorwürfe zurück, in der Haasenburg würden Kinder und Jugendliche drangsaliert und über Tage fixiert. Zum Fall des 15-jährigen entlaufenen Jungen will sich Haasenburg-Sprecher Hinrich Bernzen nicht konkret äußern. Es handele sich um personenbezogene Daten, die er in der Öffentlichkeit nicht preisgeben dürfe. Das mache die Angelegenheit aber auch so schwierig. Denn immer wieder steht Aussage gegen Aussage.
"Ich kann mit Sicherheit sagen, dass kein Kind und kein Jugendlicher in der Haasenburg die meiste Zeit allein in seinem Zimmer eingesperrt ist", sagt Bernzen der Berliner Morgenpost. Es kann im Fall des Jungen durchaus eine Einzelbetreuung gegeben haben. Er habe aber in der Wohngruppe gelebt und auch Kontakte mit anderen Jugendlichen gehabt. "Es ist nicht der Regelfall, dass einer alleine essen muss", sagt er. "Nur in Ausnahmefällen, wenn er ein Zusammenleben in der Gruppe unmöglich macht."
Auch kämen die Jugendlichen regelmäßig an die frische Luft. Sie dürfen sich in Begleitung eines Betreuers auf dem Gelände aufhalten und auch am Sport teilnehmen. Dass die Jugendlichen nicht aus dem Fenster schauen dürfen, sei eine Mär. "Es geht uns darum, den Jugendlichen zu helfen und nicht darum, sie ständig zu bestrafen", sagt Bernzen.
Richtig sei allerdings, dass die Bereitschaft des Jugendlichen, zusammenzuarbeiten, belohnt werde. "Wir setzen nun alles auf die von der Bildungsministerin eingesetzte unabhängige Expertenkommission", sagt Bernzen. "Sie muss den Vorwürfen nachgehen." Er sei davon überzeugt, dass sie sich nicht bestätigen werden. "Ich rechne damit, dass dann auch die drei suspendierten Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können", so Bernzen.

"Zu Tode gelangweilt"

Der 15-Jährige, nach dem immer noch gesucht wird, erhob im Interview mit der Tageszeitung "taz" den Vorwurf, er sei von einem Betreuer mit der Fußspitze heftig ins Gesäß getreten worden. Außerdem habe ein Betreuer ihm befohlen, in den Müllcontainer zu steigen. "Dann sagte er auf einmal: ,Wieso bist du denn da reingestiegen, du bist ja ein Müllbobby, haha, ich lach mich tot'." Der Erzieher habe ihn fotografiert und die Klappe zugemacht. Später habe er die Bilder rumgezeigt.
In dem knappen Jahr in der Haasenburg "habe ich meist nur an meinem Tisch gesessen und mich zu Tode gelangweilt", so der 15-Jährige. Die Zeit dort habe nichts Positives für ihn bewirkt. "Ich bin gefühlskälter geworden."
Offenbar haben nicht alle Betroffenen schlechte Erfahrungen gemacht. So liegen der Berliner Morgenpost Briefe vor, in denen ehemalige und jetzige Haasenburg-Bewohner andere Schlüsse ziehen.
Carsten K. schreibt: "Vor der Haasenburg hab ich viel Mist gebaut und war teilweise kriminell." Zum Beispiel habe er regelmäßig Marihuana geraucht und alkoholische Getränke konsumiert. "Ich denke, dass die Betreuer in der Haasenburg sich redlich bemühen, dass es jedem, der einen kurz- oder langfristigen Aufenthalt hat, hier gut geht." Weiter schreibt er, dass der Vorwurf, Insassen würden geschlagen, eine "absurde Lüge" sei. Der Brief endet mit dem Satz: "Mein Leben ist teilweise wieder im Normalbereich."

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