2014/12/10

Prozess im Fall Chantal - „Bitte hole mich aus dieser schrecklichen Familie“


Die elfjährige Chantal, die an einer Überdosis Methadon starb, wollte ihre drogensüchtigen Pflegeeltern unbedingt verlassen. Das geht aus einem Brief an ihren leiblichen Vater hervor. Doch das Jugendamt maß dem offenbar keine Bedeutung zu. 


© dpa Vergrößern Chantals Pflegeeltern vor Gericht: Tragen sie die Verantwortung für den Tod des Mädchens?
 
Die elfjährige Chantal aus Hamburg-Wilhelmsburg hat noch Wochen vor ihrem Methadon-Tod versucht, ihre drogensüchtige Pflegefamilie zu verlassen. „Bitte geh zum Jugendamt und hole mich aus dieser schrecklichen Familie“, zitierte Staatsanwalt Florian Kirstein am Montag vor dem Hamburger Landgericht aus einem Brief von Chantal an ihren leiblichen Vater.
Eine Frau, die im Auftrag des Jugendamts Chantals Pflegeeltern beraten hatte, sagte als Zeugin aus. Eine Mitarbeiterin der Behörde habe mit dem Kind über das Schreiben gesprochen. Chantal soll gesagt haben, dass sie bei ihrem ebenfalls drogenabhängigen Vater leben wolle. Den Darstellungen der Zeugin zufolge wurden die Aussagen im Brief nicht weiter untersucht. Die Frau sah das Wohl des Kindes in der Pflegefamilie grundsätzlich nicht als gefährdet an. Chantal starb am 16. Januar 2012 an der Heroin-Ersatzdroge Methadon, die sie in der Wohnung entdeckt haben soll.

Wohnung in „grenzwertigem“ Zustand

 

Der Zustand der Wohnung sei „grenzwertig“ gewesen, erklärte ein weiterer Mitarbeiter des Jugendamtes. Die Räume hätten stark nach Tieren gerochen und seien sehr unordentlich gewesen. „Es herrschte ein Tohuwabohu.“ Das Mädchen sei aber gut in der Familie aufgenommen, der Gesamteindruck stimmig, aber verbesserungswürdig gewesen.
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Nach Darstellung der beiden Zeugen war den Mitarbeitern des Jugendamts die Drogenvergangenheit der Pflegeeltern nicht bekannt. „Mir wurde das nie, nie gesagt“, sagte die Frau, die die Pflegeeltern seit 2008 betreut hatte. Laut Staatsanwaltschaft war das Jugendamt Hinweisen von Chantals Verwandten, die Angeklagten würden Drogen oder die Ersatzdroge Methadon konsumieren, nicht nachgegangen. Die Zeugin sagte aus, sie hätte die Hinweise als „Verleumdungen“ abgetan. Bereits 1990 war der Angeklagten die Obhut für eine leibliche Tochter entzogen worden.
Eine weitere Mitarbeiterin des Jugendamtes, die ebenfalls am Montag als ehemaliger Vormund Chantals befragt werden sollte, verweigerte ihre Aussage. Die Pflegeeltern sind wegen fahrlässiger Tötung und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht angeklagt.

Quelle: dpa

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 Lesermeinungen i  (5) Wie Sie mitdiskutieren
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  (9) " Kranz drüber!!"
Ingried Heidenthal  3  (EyeCue) - 09.12.2014 09:02
.... mal wieder das JUGENDAMT .... ein Name mit Gruselcharakter! Was tun die da eigentlich ?? Mikado spielen??? Antworten Verstoß melden
  (7) Jugendamt
Manuel Seibel  (manuel) - 09.12.2014 07:40
Leider ist das kein Einzelfall, übrigens auch, wenn der Drogenkonsum nicht bei Eltern sondern bei den Kindern auftritt. Immer wieder gibt es bei Betreuungen von äußerst komplizierten Eltern-Kinder-Beziehungen (z.B. durch psychische Belastungen und Erkrankungen, auch bei Drogenkonsum) die Notwendigkeit, das Jugendamt einzuschalten. Selbst wenn Gefahr für (Geschwister-)Kinder besteht, lehnen Jugendamt oder andere "zuständige" Stellen es ab, die Verantwortung zu übernehmen und eine Betreuung ("Unterbringung") in einer Jugendpsychiatrie (verpflichtend) in die Wege zu leiten (beispielsweise, wenn das Kind noch keine 18 Jahre alt ist). Meistens geht es ja ohne Todesfall aus ... Erst, wenn eine Todesfolge eintritt, bekommt das die Öffentlichkeit mit. Antworten Verstoß melden
  (18) Das geht nicht zusammen
Antworten (1) Yael Schlichting  (YaelSchlichting) - 08.12.2014 22:48
Wie kann das Jugendamt ein Kind seinem drogensüchtigen Vater wegnehmen und es dann zu ebenfalls drogensüchtigen Pflegeeltern geben? Da geht's mir weniger um die Frage welche Schuld diese Pflegeeltern haben, sondern wie in diesen Jugendämtern gearbeitet wird. Ich sehe die Schuld eher beim Jugendamt! Antworten Verstoß melden
  (14) Dienst nach Vorschrift
Patrick Ruffo  (Patrick.Robin) - 08.12.2014 22:25
Sehr, sehr trauriger Fall. Mich entsetzt immer wieder, wie Jugendamt-Mitarbeiter anscheinend "Dienst nach Vorschrift" machen: Wohnung zwar verdreckt, aber im Großen und Ganzen ein ausreichender Gesamteindruck. Reicht das aus in Deutschland, um für ein Kind verantwortlich zu sein? Die Mitarbeiterin wird damit zitiert, dass ihr niemand etwas von der Drogensucht erzählt habe. Ja, entschuldigt. Meine Nachbarin erzählt mir auch nicht, dass sie ohne Alkohol nicht mehr einschlafen kann. Es gibt immer Indizien und diese muss man nur richtig deuten. Aber solange "Dienst nach Vorschrift" gemacht wird, fallen solche Indizien häufig unter den Tisch. Ausbaden müssen es dann die Kinder. Der Fall ist hier besonders schlimm, denn das Kind schrie um Hilfe und eine Behörde, die eigentlich für Kinder da sein sollte, hat diesen Hilferuf falsch interpretiert und so das kleine Mädchen ihrem Schicksal überlassen. Ich hoffe, dass die Mitarbeiterin sich schnellstens einen neuen Job sucht! Antworten Verstoß melden
  (11) Wer gehört angeklagt?
Antworten (1) Karin Liedtke  (kalied) - 08.12.2014 21:36
Es stellt sich hier die Frage wer verurteilt gehört und auf der Anklagebank sitzen sollte. Nach den Informationen die an die Öffentlichkeit gelangten,sind meiner Meinung nach nicht nur die Pflegeeltern verantwortlich für den Tod des Kindes. Allein die Aussagen:Zustand der Wohnung grenzwertig,aber Gesammteindruck stimmig... lassen starke Zweifel an der Kompetenz der Mitarbeiter aufkommen. Hier weiss eine Hand nicht was die andere tut-grauenvoll! Ich kann es einfach nicht fassen,was hier durch angebliches Nicht-Wissen und Unterlassen für eine Tragödie stattfand. Antworten Verstoß melden

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